Immer häufiger wird gefordert, das Wahlalter auf 16 abzusenken. Auf den ersten Blick spricht auch einiges dafür: Durch ihre Integration in Schule und Elternhaus haben 16- und 17-jährige Wahlberechtigte eine relativ höhere Wahrscheinlichkeit der Wahlteilnahme als andere junge Erwachsene. Doch eine Absenkung des Wahlalters könnte auch ungewollte Nebeneffekte haben, die bislang in der übersehen werden und denen wir in einem quasi-experimentellen Forschungsprojekt nachgehen möchten.
Durch die punktuelle Absenkung des Wahlalters für einzelne Ebenen des politischen Systems (Kommunal- und/oder Landtagswahlen) entsteht eine Asynchronität der Wahlberechtigung: In der Folge kommt es regelmäßig vor, dass junge BürgerInnen bei einer Landtags- oder Kommunalwahl (mit Wahlalter 16) erstmals wahlberechtigt sind und dieses Recht auch wahrnehmen. Bei einer kurz darauffolgenden Bundestags- oder Europawahl aber verlieren sie ihr frisch erlangtes Wahlrecht wieder, weil sie dann noch nicht 18 Jahre alt sind. Oder anders formuliert: Bei einer Nebenwahl dürfen die jungen Menschen wählen, bei der wichtigen Hauptwahl – nämlich der Bundestagswahl – aber nicht. Diese Situation birgt ein erhebliches Frustrationspotenzial für junge BürgerInnen, das aufgrund der Sozialisierungsfunktion der ersten Wahlen langfristige Auswirkungen haben kann und daher sehr ernst zu nehmen ist. Inwieweit solche Folgen auftreten und ob und wie man ihnen entgegenwirken kann, ist bislang nicht bekannt.
Antworten auf diese Fragen wollen Sigrid Roßteutscher, Thorsten Fass, Arndt Leininger und ich mit einem innovativen Forschungsprojekt finden, in dem wir die Wahlbeteiligung in Schleswig-Holstein untersuchen. Dort findet zunächst eine Landtagswahl am 7. Mai 2017 statt (mit Wahlalter 16), nur wenige Monate vor der Bundestagswahl im September 2017 (mit Wahlalter 18), welche wiederum wenige Monate vor der Kommunalwahl im Mai 2018 liegt (mit Wahlalter 16). Wir nehmen speziell die ErstwählerInnen in den Blick und fragen: In welchem Ausmaße beteiligen sich Jugendliche an der ersten Wahl, für die sie wahlberechtigt sind, und hat dies Folgen für ihre Beteiligung an späteren Wahlen? Wie sehen ihre politischen Orientierungen und Wahrnehmungen aus? Wie stark interessieren sie sich für Wahlen und Politik? Wir werden diese Fragen einer repräsentativen Online-Stichprobe von jungen Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteinern stellen, die wir 2017 und 2018 mehrfach befragen. Dabei können wir ein natürliches Experiment nutzen, denn bei welchen der drei Wahlen die Befragten wahlberechtig sind, hängt allein vom Geburtsdatum ab. Ob sich dieses «zufällige» Ereignis auf die individuelle Wahlbeteiligung auswirkt, werden wir in den kommenden 20 Monaten überprüfen.